EuGH moniert (Teil-)Startverbot für EU-Ausländer bei deutschen Senioren-Leichtathletikmeisterschaften

Dass der Deutsche Leichtathletikverband (DLV) EU-Ausländer von der Teilnahme an deutschen Amateur-Leichtathletikmeisterschaften der Senioren (teilweise) ausschließt, kann gegen Unionsrecht verstoßen. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 13.06.2019 entschieden. Die vom DLV vorgebrachten Ausschlussgründe überzeugten den EuGH nicht. Das Amtsgericht Darmstadt muss nun prüfen, ob andere Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen (Az.: C-22/18).

EU-Ausländer dürfen nur "außer Wertung" an Senioren-Meisterschaften teilnehmen

Die Teilnahme an Deutschen Leichtathletikmeisterschaften in der Kategorie der Senioren im Amateursport stand zunächst Angehörigen anderer Mitgliedstaaten offen, wenn sie seit mindestens einem Jahr ein Startrecht für einen deutschen Verein oder eine deutsche Leichtathletik-Gemeinschaft besaßen. Im Juni 2016 änderte der Deutsche Leichtathletikverband (im Folgenden: DLV) die Deutsche Leichtathletikordnung, so dass diese Möglichkeit entfiel. Nach Angaben des DLV kann den betreffenden Athleten jedoch in bestimmten Fällen und unter bestimmten Bedingungen ein Teilnahmerecht außer Wertung eingeräumt werden. In diesem Fall dürfen die Athleten aber nicht an Endläufen und Endkämpfen teilnehmen. Der DLV begründet diese Änderung damit, dass deutscher Meister nur ein Athlet deutscher Staatsangehörigkeit werden solle, der für internationale Meisterschaften unter der Abkürzung "GER", die für das Wort "Germany", also Deutschland, stehe, startberechtigt sei.

Italienischer Ausgangskläger will zu künftigen Meisterschaften in Wertung zugelassen werden

Aufgrund dieser Änderung wurde der Ausgangskläger, ein in Deutschland ansässiger italienischer Staatsangehöriger, der seit 2012 in der Kategorie der Senioren an Deutschen Meisterschaften im Amateursport teilgenommen hatte, im März 2017 von einer Meisterschaft ausgeschlossen. Bei einer Ende Juni/Anfang Juli 2017 stattfindenden Meisterschaft wurde ihm ein Teilnahmerecht nur "außer Wertung" oder "ohne Wertung" eingeräumt. Deshalb haben er und der Berliner Sportverein TopFit, dessen Mitglied er ist, vor dem Amtsgericht Darmstadt geklagt, um seine Teilnahme an künftigen Deutschen Leichtathletikmeisterschaften für Senioren in Wertung zu erreichen. Nach Auffassung der Kläger sind mit Ausnahme der deutschen Staatsangehörigkeit alle vom DLV geforderten Voraussetzungen erfüllt, insbesondere hinsichtlich der Leistungen.

AG Darmstadt legt vor

Das Amtsgericht Darmstadt wollte vom EuGH wissen, ob das Unionsrecht einer Regelung eines nationalen Sportverbands, wonach ein EU-Ausländer, der seit vielen Jahren in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem der Verband seinen Sitz hat und er als Amateur in der Kategorie der Senioren den Laufsport ausübt, nicht wie Staatsangehörige des Mitgliedstaats in dieser Disziplin an nationalen Meisterschaften oder nur "außer Wertung" oder "ohne Wertung" teilnehmen kann, ohne Zugang zum Endlauf zu haben und ohne den nationalen Meisterschaftstitel erlangen zu können.

EuGH: DLV-Regelung benötigt Rechtfertigung durch objektive Erwägungen

Der EuGH hat entschieden, dass das Unionsrecht in einer solchen Fallkonstellation einer solchen Regelung entgegensteht, es sei denn, sie ist durch objektive Erwägungen gerechtfertigt, die in einem angemessenen Verhältnis zu einem legitimerweise verfolgten Zweck stehen. Dies zu prüfen sei Sache des AG Darmstadt.

Verleihung des deutschen Meistertitels nur an deutschen Staatsangehörigen legitim

Dabei erscheine es legitim, die Verleihung des Titels des nationalen Meisters in einer bestimmten sportlichen Disziplin einem nationalen Staatsangehörigen vorzubehalten, da dieses nationale Element als charakteristisches Merkmal des nationalen Meisterschaftstitels angesehen werden kann, betont der EuGH. Jedoch müssten die sich aus der Verfolgung dieses Ziels für die Unionsbürger ergebenden Beschränkungen der Freizügigkeit mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen.

Vorbringen des DLV rechtfertigt Freizügigkeitsbeschränkung aber nicht

Laut EuGH scheinen insoweit die beiden vom DLV vorgebrachten Rechtfertigungsgründe nicht auf objektiven Erwägungen zu beruhen. Denn was zum einen die Bestimmung des nationalen Meisters angehe, der sein Land bei internationalen Meisterschaften vertrete, wähle der DLV die Teilnehmer an internationalen Meisterschaften der Kategorie der Senioren nicht selbst aus. Vielmehr könnten die Athleten, die Mitglieder eines zum DLV gehörenden Vereins seien und die Leistungskriterien erfüllten, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit an Meisterschaften teilnehmen und sich hierfür anmelden. Somit könne eine Person, die eine andere Staatsangehörigkeit als die deutsche besitzt, für Deutschland antreten und Europameister der Senioren im Laufen werden. Was zum anderen die behauptete Notwendigkeit einheitlicher Regelungen für alle Altersklassen angehe, so finde diese in den Erklärungen des DLV keine Stütze, wonach er nur in der Kategorie des Spitzensports die besten nationalen Athleten zur Teilnahme an internationalen Wettbewerben auswähle.

AG muss andere Rechtfertigungsgründe prüfen

Es sei Sache des AG Darmstadt zu prüfen, ob es andere Rechtfertigungsgründe für die Regelungen gibt, wonach EU-Ausländer nicht für nationale Meisterschaften zugelassen werden, so der EuGH weiter. Bei dieser Prüfung müsse das AG berücksichtigen, dass es den Ausschluss für die Kategorie der Senioren in Deutschland jahrelang nicht gegeben habe. Ferner müsse es das Ziel des Unionsrechts, Wettbewerbe zugänglicher zu machen, sowie die Bedeutung der Integration von im Aufnahmemitgliedstaat ansässigen Personen - vor allem derer, die dort wie vorliegend der Ausgangskläger für einen langen Zeitraum ansässig seien - berücksichtigen.

Vollständiger Ausschluss von EU-Ausländern erscheint jedenfalls unverhältnismäßig

Schließlich hält der EuGH fest, dass es jedenfalls unverhältnismäßig erscheine, einen ausländischen Athleten wegen seiner Staatsangehörigkeit vollständig von den Meisterschaften auszuschließen, da es einen Mechanismus für die Beteiligung eines ausländischen Athleten an einer nationalen Meisterschaft gibt, zumindest für die Qualifikationsrunden und/oder außer Wertung.

EuGH, Urteil vom 13.06.2019 - C-22/18

Redaktion beck-aktuell, 13. Juni 2019.