Daniele Biffi findet selbst, dass er ein wenig dem klischeehaften Bild des Italieners entspricht. „Ich kann sehr emotional sein“, sagt der 45-Jährige. Und weil das so ist, war das vergangene Woche etwas zu aufwühlend für ihn. Es fanden die deutschen Seniorenmeisterschaften im sächsischen Zittau an. Die Veranstaltung ist ein jährlicher Höhepunkt im Leben des passionierten Leichtathleten. Sechs Meistertitel gewann Biffi in den vergangenen vier Jahren. Der Mann mag 45 Jahre alt sein, aber er rennt die 100 Meter immer noch unter zwölf, die 200 Meter unter 24 Sekunden.
Biffi ist hierzulande einer der besten Leichtathleten in seiner Klasse. In Zittau allerdings war wenig zu holen für ihn – weil er nichts holen durfte. Und so endete das Ganze im Eklat, er beleidigte ein paar Organisatoren und wurde verwarnt. „Ich fühlte mich erniedrigt und diskriminiert“, sagt Biffi. „Ich lebe seit 15 Jahren in Deutschland, ich bin hier zu Hause und darf plötzlich nicht mehr mitlaufen. Das ist doch ein Witz.“ Der Hintergrund: Biffi hat keine deutsche Staatsbürgerschaft und läuft deswegen außer Konkurrenz. Das heißt, er darf nur die Vorläufe bestreiten, auch wenn er sich – wie es in Zittau der Fall war – sportlich für das Finale qualifiziert hat.
Diese Regelung war Ende vergangenen Jahres vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) beschlossen worden. Zuvor waren Ausländer, die für einen deutschen Verein antraten, regulär für die deutschen Meisterschaften zugelassen. Bei den am Samstag beginnenden deutschen Leichtathletikmeisterschaften in Erfurt werden deshalb viele Namen, gerade bei den Mittel- und Langstrecken, in der Starterliste fehlen. Es ist dies ein heikles und hochsensibles Thema, das der DLV im vergangenen Jahr ausgesprochen leise kommunizierte. Die Basis war nicht groß darüber informiert worden. Irgendwann stand die Neufassung der Deutschen Leichtathletik- Ordnung (DLO) im Internet.
„Es hat in den vergangenen Jahren immer wieder Beschwerden von Vereinen dahingehend gegeben, dass andere Vereine sich gezielt mit Ausländern verstärken, die deutsche Athleten von Spitzenplätzen verdrängen. Es ging ihnen um den Schutz und die Förderung deutscher Athleten“, sagt der scheidende DLV-Präsident Clemens Prokop. Auch sei seitens der Vereine das richtige Alter von einigen ausländischen Spitzenathleten im Jugendbereich angezweifelt worden, erzählt Prokop. „Wir haben daraufhin im Verband die Entscheidung getroffen, dass bei den deutschen Meisterschaften auch nur die besten Deutschen ermittelt werden.“
Juristisch zweifelhaftFür Daniele Biffi jedenfalls waren und sind das keine hinreichenden Gründe, die Teilnahmebedingungen für Ausländer zu ändern. Er zog, nachdem seine verbandsinternen Proteste nicht gehört worden waren, mit seinem Anwalt Gerald Kornisch vor das Amtsgericht Darmstadt. Vor den Meisterschaften in Zittau versuchte er sein reguläres Teilnahmerecht durch eine einstweilige Verfügung zu erstreiten. Diese wurde abgelehnt mit dem Hinweis, dass ihm durch die neue DLO kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei. Auf Biffi mag das zutreffen, auf die vielen Profis, die an diesem Wochenende nicht in Erfurt regulär starten dürfen, aber nicht. Es ist durchaus möglich, dass die neue DLO-Fassung von einem Gericht gekippt wird. Biffi jedenfalls will weiter klagen. „Ich ziehe das bis zum Schluss durch“, sagt er.
Dem DLV droht Ärger, auch weil immer mehr Landesverbände grummeln. Der Berliner Leichtathletik-Verband (BLV) zum Beispiel veranstaltet seit vielen Jahren offene Landesmeisterschaften, bei denen die Staatsbürgerschaft keine Rolle spielt, solange die Athleten für einen deutschen Verein antreten. „Wir wollen das auch in Zukunft so halten“, sagt BLV-Präsident Gerhard Janetzky. Viele glauben, dass der DLV mit seiner Ordnung über das Ziel hinausgeschossen ist.
Dabei sorgt vor allem das Argument, einige jugendliche Ausländer hätten bei ihrer Altersangabe geschummelt, für Unmut. „Abgesehen davon, dass bisher in der Diskussion kein Fall vorgebracht worden ist, bei dem falsche Altersangaben verifiziert worden sind und das bisher nur Mutmaßungen sind, würden etwaige Einzelfälle nichts ändern“, sagt Biffis Anwalt Kornisch. „Man kann nicht alle Ausländer einfach unter Generalverdacht stellen.“ Kornisch hält die Begründungen des DLV für die neue Satzung allesamt für hanebüchen – und nicht nur das: „Diese Regelung ist diskriminierend. Es geht um die Werte in einer freien Gesellschaft. Und die deutsche Leichtathletik geht hier mit schlechtem Beispiel voran.“
Tatsächlich wird in den deutschen Sportverbänden wie auch international die Frage unterschiedlich beantwortet, ob und wie Ausländer an nationalen Meisterschaften partizipieren dürfen. Beim Deutschen Turner-Bund (DTB) etwa dürfen Ausländer laut Statuten wie jetzt beim DLV nur außer Konkurrenz antreten, und beim Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB) wiederum können zumindest jene Ausländer Deutscher Meister werden, die zuvor noch nie für einen Verein außerhalb Deutschlands gespielt haben.
In anderen Sportarten ist es möglichIst es nicht ein Widerspruch in sich, dass ein Ausländer Deutscher Meister wird? Diese Frage stellen sich viele gerade bei olympischen Sportarten wie Schwimmen, Turnen oder eben Leichtathletik. Dabei treten die Sportler genauso für nationale Vereine an wie etwa der Fußballer Franck Ribéry vom FC Bayern München. Bei dem siebenfachen deutschen Meister Ribéry stößt sich keiner daran, dass er Ausländer ist. Bei vielen deutschen Meistern in der Leichtathletik dagegen schon.
Ein wesentlicher Grund für den Groll gegen diese Sportler ist das Fördersystem. Die Kaderathleten, die Deutschland bei großen Veranstaltungen wie Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen vertreten, haben alle die deutsche Staatsbürgerschaft und werden aus Bundesmitteln gefördert. Politik und Sportverbände wollen daher ihre Kadersportler bei dem größten nationalen Event auch auf den ersten Plätzen sehen. „Es ist nun einmal so, dass wir als Verband im Spitzenbereich nur Deutsche finanziell fördern dürfen“, sagt DLV-Präsident Prokop.
Das weiß auch der Anwalt Gerald Kornisch, trotzdem stört ihn die Haltung des Leichtathletikverbandes. „Der DLV spielt sich im Bereich des Spitzensports als Interessenvertreter nur der deutschen Athleten auf. Das ist er aber nicht und darf es auch nicht sein. Der DLV ist der Dachverband der deutschen Leichtathletikvereine“, sagt er.
Der Mann und sein Mandant jedenfalls haben das Rennen gegen den DLV noch nicht aufgegeben. Im Gegenteil: Sie wollen jetzt erst richtig durchstarten.